Der Mythos in der Flasche

Es gibt Winzer, die große Weine machen. Und es gibt Winzer, deren bloßer Name Ehrfurcht in mir auslöst. Einer von ihnen ist ohne Frage Jean-François Coche-Dury – oder heute: Raphaël Coche, sein Sohn. Der Name steht für einen der wohl begehrtesten Weißweine der Welt. Und nein, dabei reden wir nicht von Montrachet oder Meursault Perrières. Sondern von einer Flasche Bourgogne Blanc. Gerade hatte ich das Glück, genau diesen zu probieren: Coche-Dury Bourgogne Blanc 2022. Eine Flasche, die nicht laut ist. Keine große Appellation, kein Monument. Und trotzdem – vielleicht gerade deshalb – ein Wein, der einen Moment still werden lässt.

Wer ist Coche-Dury?

Das Weingut Coche-Dury liegt in Meursault, im Herzen der Côte de Beaune im Burgund. Mit nur rund 10 Hektar Rebfläche ist es ein kleines Familiengut – aber mit Weltruf. Seit den 1970er-Jahren hat Jean-François Coche das Weingut geprägt und zu einem der feinsten Adressen für Weißwein weltweit gemacht.

Was macht ihn so besonders?

  1. Traditionelle Vinifikation mit kompromissloser Präzision
  2. Intensive Reduktion, die den Weinen ein markantes „Feuerstein-Aroma“ gibt
  3. Langsame Gärung & lange Fassreife, oft mit neuem Holz, aber nie überladen
  4. Minimalste Intervention, dafür extreme Selektion im Weinberg
  5. Und das Wichtigste: Diese Weine altern wie kaum ein anderer Chardonnay. Selbst einfache Appellationen können nach 10–20 Jahren Größe zeigen. Unsere Flasche hatte nicht so ein langes Leben.

Der echte Reiz entstand aber in der Art, wie der Wein ins Glas kam: blind serviert. Ohne Etikett, ohne Vorwissen – nur Farbe, Duft, Textur. Diese Form des Trinkens ist befreiend. Man bewertet nur das, was man wirklich schmeckt – nicht den Preis, nicht den Namen, nicht das Prestige.

Man gibt Weinen Raum, ohne Erwartung. Und ja: Man wünscht sich heimlich doch, dass sich die großen Namen enttarnen. Man will, dass sie sich nicht beweisen. Man will, dass sie nicht performen. Und so oft tun sie es trotzdem. Und dann kommt dieser Coche Dury – und tut genau das. Er steht für sich, braucht keine Etikette, keinen Hype. Nur ein Glas. Und ein paar Sekunden Stille.

Der Wein: Bourgogne Blanc 2022 „Nur“ ein Bourgogne Blanc. Und doch: Die Trauben stammen direkt aus Meursault, aus Lagen unterhalb von Meursault-Charmes – also mit echtem Terroir. Der 2022er ist ein junger Jahrgang – charmant, warm, zugänglich – und bei Coche ein perfekter Ausdruck von Finesse und Energie.

Im Glas:

Helles, leuchtendes Goldgelb

In der Nase: Reduktive Feuerstein-Note, darunter Zitrone, Limette, Ananas, etwas weißer Rauch

Am Gaumen: Salzige Spannung, geile Säure, dichte Textur

Der Nachhall: Lang, fordernd, schon sehr kalkig

Was hier auffällt: Nichts ist laut, nichts drängt sich auf. Das ist große Handwerkskunst.

Warum dieser Wein so besonders ist?

Der Bourgogne Blanc ist für Coche-Dury nicht nur Einstiegswein, sondern Visitenkarte. Hier zeigt sich, wie kompromisslos gearbeitet wird – ganz gleich, ob es sich um eine einfache Herkunft handelt oder um die großen Lagen wie Perrières, Genevrières oder Corton-Charlemagne.

Wer eine Flasche Coche-Dury öffnet, erlebt nicht einfach einen Chardonnay. Man öffnet ein Stück Handwerk, Geschichte, Stil. Und das selbst bei einem „kleinen“ Bourgogne Blanc. Blind getrunken, ohne Etikett, entfaltet dieser Wein dieselbe Tiefe, dieselbe Energie – vielleicht sogar mehr. Weil er sich nicht auf seinen Namen verlässt, sondern auf das, was zählt: Qualität. Balance. Spannung. In einer Zeit, in der Wein immer öfter „gemacht“ wird. In der so viele Weine durch Technik geschönt, korrigiert oder aufpoliert werden, erinnert Coche-Dury daran, dass großer Wein nicht laut sein muss. Das hätte ich nämlich erwartet.

Und vielleicht liegt genau darin seine wahre Größe: Dass selbst ein einfacher Bourgogne Blanc für Aufhorchen sorgt. Mit oder ohne Etikett.